Donnerstag, Januar 08, 2009

Großes Kino, ganz ohne 24 Bilder je Sekunde

Dafür aber einen Plot, den ich so noch nie auf 238 Seiten zu lesen bekam. Verehrte Leserschaft, es gibt Bücher, gute Bücher und sehr gute Bücher. Caio Fernando Abreu hat mit Onde andará Dulce Veiga? bei mir einen Platz unter meinen Lieblingsbüchern (ergo in der Kategorie sehr gute Bücher) erobert. Mensch, auf diesen knapp 240 Seiten habe ich an Emotionen mehr erlebt als im letzten halben Jahr.

Eigentlich beginnt alles ganz harmlos, ein Journalist soll ein Potrait über eine Gesangsikone von vor 20 Jahren schreiben und gerät, wie das Leben so spielt (und in diesem Buch spielt das Leben ganz schön mit!), an ihre Tochter. Die steht als "prä-apokalyptische Post-Punk-Primadonna" mit der Formation Vaginas dentadas auf der Bühne, tritt in den abgewracktesten Klubs São Paulos auf und hat so ihre Rätsel.

Überhaupt gibt es in diesem Werk nichts, was nicht irgendwie atemberaubend oder wenigstens genial wäre. Der Reporter, mit dem man in nie gekannter Geschwindigkeit auf Berg- und Talfahrt geht, hat seine Kanten, ist alles andere als ein runder Charakter. Da gibt es die Flashbacks zu Pedro, dem ersten Kuss, einer wundersamen Begegnung, die nach und nach ein paralleler Handlungsstrang aus inneren Monologen wird. Es gibt die Suche nach Befriedigung, die schmuddeligen Dates mit weiblichen Prostituierten, das Verlangen nach Lexotanil und das nach Alkohol, um den Rest der Gefühle wegzuspülen. Ein Reporter, der eigentlich auf der Suche nach Dulce Veiga ist und, auch das ist wie so oft im Leben: dabei zuallererst sich selbst findet.
Das alles eingebettet in ein Brasilienbild, das modern, traditionell, arm, reich, gehetzt, beklemmend starr, falsch und doch äußerst akkurat ist.

Ich bleibe mit zahllosen angeknickten Ecken, verdammt schlauen Zeilen und dem Gefühl, meine (Lust-) Seminare über Vinicius, Pessoa und Yoruba-Mythologie hätten mir wirklich etwas genützt, zurück. (Apropos: Googlen Sie doch mal nach "Vinicius". Wenn Sie dieses Bilder-Ergebnis nicht angenehm überrascht, sind Sie ein leidenschaftsloser Literaturfreak.)

Seit Frau Andradis Berlín es un cuento stehe ich auf markige Sprüche schwach-starker Frauen. Daher zum Schluss ein Zitat von der Romanfigur Márcia, das mir sehr aus dem Herzen spricht:
O que você chama de merda, eu chamo de arte. Cada um vê apenas aquilo que é capaz de ver.

(auf Deutsch: "Was du Scheiße nennst, nenne ich Kunst. Jeder sieht nur das, was er sehen kann.")

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

ich möchte bitte sofort auch ein vinicius-seminar! (oder eins mit ihm.)

Peter hat gesagt…

Lieber Glam,

solch exklusive Lehrveranstaltungen gibt es nur in Halle an der Saale. Daher betiteln wir inoffiziell das Ganze auch als "Lustseminar". Sie sind herzlich eingeladen!

Für ein Seminar im Beisein des athletischen Jünglings spricht, dass er, ganz im Gegensatz zu seinem Namensvetter, noch unter den Lebenden weilt. Allerdings schrieb Junior keine so eingängigen Melodien wie der reputable alte Mann (zumindest ist das von ihm nicht bekannt), die wir dann hätten neu vertonen können.

Sie müssen sich also entscheiden, banaler Körperkult oder Hochkultur :-D