Samstag, November 15, 2008

Mixtape auf CD 11/2008



Coverbild von http://flickr.com/photos/harshapvss/.






Nights At The Circus (20 Titel, 82:07 Min.)

Titelliste

01. "Overture" - You Say Party! We Say Die! | Hit The Floor! | 2006 (2:02)
02. "Sisini" - Super Biton De Segou | Mali | 2007 (5:38)
03. "Throw It On A Fire" - Bell Orchestre | Recording A Tape The Colour Of The Light | 2005 (4:46)
04. "Oldster by Xilin River" - Sa Dingding | Sacred Sound On KAOS fm | 2008 (3:34)
05. "Soobax" - K'naan | Awards for World Music 2007 | 2007 (3:45)
06. "Kemayoran" - Various Artists | Discover Indonesia | 2000 (4:53)
07. "Feira De Mangaio" - Think of One | Awards for World Music 2007 | 2007 (4:20)
08. "Winnawal Burru" - Jowandi | Australia: The Dreaming | 2003 (4:14)
09. "Nights At The Circus" - Bishi | Nights At The Circus | 2007 (3:57)
10. "Pay Dar Doran - Memory Of Cycles" - Madjid Khaladj | Iranian Percussions: Tombak, Daf, Dayre And Zang-e Saringosh | 2001 (3:33)
11. "Badjirgal's Wish" - Sainkho | Naked Spirit | 1998 (3:04)
12. "Soixante Trois" - Tinariwen | Aman Iman: Water Is Life | 2007 (4:13)
13. "Heaven and Earth" - Svetilen Emsemble | Sacred Sound On KAOS fm | 2008 (2:11)
14. "Oceania" - Björk | Original Music from the Film "Screaming Masterpiece" | 2005 (3:22)
15. "Byanchuli (morning song, part II)" - Various Artists | Himalaya Roots - Traditional Music of Nepal | 1997 (4:23)
16. "Yes" - Coldplay | Viva La Vida Or Death And All His Friends | 2008 (7:06)
17. "Pena Verde - Rhythm of Samba" - Various Artists | Songs and Dances of Brazil | 1956 (2:32)
18. "Del Mar Rojo" - Stellamara | Star Of The Sea | 1997 (5:07)
19. "Hana Nu Kajimaya" - Takashi Hirayasu & Bob Brozman | Jin Jin / Firefly | 2000 (2:29)
20. "Gaztelugatxeko Martxa" - Kepa Junkera | Bilbao 00:00 h | 1999 (6:58)

Aus dem Booklet

Hallo und Ohren aufgesperrt,

denn hier kommen 20 unerhörte – und hoffentlich auch ungehörte – Musiktitel aus aller Welt. Mit dieser Musikauswahl pfeife, singe, spiele, schmettere ich gegen tristes Grau im November. Stattdessen musikalische Farbe aus Canada, Mali, China, USA, Indonesien, Belgien, Australien, Großbritannien, Iran, Tuva, Syrien, Russland, Island, Nepal, Brasilien, Japan und Spanien. Wahnwitziges Unterfangen? Eine Musikmischung, die gegen die Maximen des guten Geschmacks verstößt? Genau! Es ist wie mit Hosen oder Shirts: das Lieblingsstück wird immer das für zunächst untragbar gehaltene Stück Stoff. Legen wir los!

1.Für einen sphärischen Auftakt sorgen die Powerfrauen von You Say Party! We Say Die! Darüberhinaus sind sie das beste Beispiel, dass die sogenannte Weltmusik schon längst im Pop und Rock angekommen ist, auch in Canada.

2.Nach der kühlen nördlichen Mystik nun zu einem Ensemble aus Mali. Super Biton de Segou sind eine der Stars der malinesischen Musikszene der 1970er Jahre. Getroffen haben sich die Bandmitglieder auf den jährlichen Bandwettberwerben und gründeten eine Band. Kennzeichnend für Super Biton ist die Energie und der charakteristische Gesang Mamadou Doumbias. Ab 1980 war leider Schluss mit der Band, Doumbia macht einige Soloplatten und das Erbe Super Bitons ist verstreut auf zahlreiche Compilations.

3.Zurück nach Canada und damit ein kleiner Vorgeschmack darauf, wie die geographischen Verhältnisse dieses Mixtapes auf CD liegen: unheimlich weit auseinander. Von Montreal bricht auf uns hernieder die fünfköpfigen Bell Orchestre. Sie standen bereits als Orchester mit Arcade Fire auf der Bühne und einige Personen sind sowohl Mitglieder von Bell Orchestre als auch von Arcade Fire. Musikalisch lässt sich das, was sie tun, am ehesten als wilder Instrumental-Rock beschreiben. Eine fabelhafte Scheibe mit einer ungeheuren, ja, fast überirdisch anmutenden Energie, fiedelnd zur Schau gestellt in Throw It On A Fire.

4.Der nächste Titel Oldster by Xilin River führt uns nach China. Sa Dingding ist eine chinesische Folksängerin mongolischer Abstammung und nebenbei ein Sprachtalent. Ihre Texte singt sie auf Mandarin, Sanskrit, Tibetanisch, einer beinahe ausgestorbenen Sprache Namens Laghu und, manchmal kommt man ja einfach nicht weiter in 4 Sprachen, einer Phantasielautsprache. Wie es sich für Folksänger gehört, begleitet sie ihre Songs selbst auf traditionellen Instrumenten (beispielsweise die Pferdekopf-Geige). Sie wurde 2006 zu Chinas bester Tanzmusiksängerin gewählt, erhielt 2008 den BBC Radio 3 World Music Award und arbeitet an einem neuen Album, das 2008 erscheinen soll.

5.Und ab nach Somalia, zumindest vom Einfluss her. Der, der hier so grandiosen Lärm macht, ist Kaynaan Warsame, ein 1978 in Mogadischu geborener Künstler, der inzwischen in Canada residiert. Seine Großmutter war Somalias berühmteste Sängerin, der Vater Dichter – logisch, dass der Junior auch in die Kunst wollte. K'naan hat sich textlich ganz dem Singen für eine bessere Welt verschrieben und hat sich zu diesem Zweck spontan noch Rappen beigebracht. Die Texte sind meist auf Englisch, fordern das Ende des blutigen Krieges in seiner Heimat und musikalisch liest man, es handele sich um die Mischung aus Bob Marley und amerikanischem Hip Hop. Passt genau zu diesem Mixtape; denn bis man es gehört hat, kann man sich darunter nicht viel vorstellen.

6.Kemayoran ist faszinierend. Der Titel würde locker auch an einen europäischen Hof passen. Tatsächlich ist es aber ein indonesischer Song, den ich auf einer CD mit einer kondensierten Auswahl indonesischer Musikstücke gefunden habe. Ich muss gestehen, für europäische Ohren klingt das hier recht vertraut, harmonisch und gar nicht so „richtig“ 12-tonig.

7.Normalerweise dauert Jakarta – Brüssel 12 Stunden oder so, hier liegen beide Zentren nur einen Titelabstand auseinander. Zu hören sind Think Of One, eine hyperenergische Gruppe aus Brüssel (ich wusste schon immer, diese Stadt hat es in sich) mit einem so wundervoll akzentuierten Portugiesisch, dass ich ganz von Sinnen bin. Mangaio ist die ackerbauliche Ernte, es ist also eine Art Erntelied.

8.Der Interpret von Winnawal Burru hat wieder eine spannende Biographie zu bieten. Wayne Jowandi Barker ist in Broome, australisches Outback, geboren und Nachfahre der Yawurru und Jabirr Jabirr, beides Aborigine-Stämme. In jungen Jahren gründete er einen der ersten Aborigine-Radiosender, einige Zeit später das Aborigine-Filminstitut, lehrte dort, machte eigene Filme und fand irgendwann, die Zeit wäre Reif für eigene Musik. Inzwischen lebt der mit Preisen und Auszeichnungen reich dekorierte Mann in Frankreich, unterhält aber, das ist so seiner Website zu entnehmen: „enge Kontakte zu den Angehörigen des Stammes“. Sage mal noch einer, Aborigines hielten nichts von den neuen Technologien.

9.Jetzt bewegen wir uns auf Kolonialpfaden (böse, sorry) zurück nach Großbritannien. Dort tritt die bengalisch-stämmige Bishnu Priya im angesagtesten Klub der Stadt, Kash Point, auf. Ihre Musik, man hört es, ist stark beeinflusst von den Einflüssen, die sie auf ihren jährlichen Besuchen in Indien aufliest. Wenn sie nicht gerade ihre Umgebung analysiert oder auflegt, dann spielt sie auch noch eine handvoll typischer Instrumente. Ich liebe ihr Englisch, das klingt toll und auch sonst, ist es eine wundervolle Sache, dieses, ehm, außerirdische Musik-Thingy...

10.Und wieder geht es Richtung Osten. Da finden wir Madjid Khaladj, einen iranischen Perkussionskünstler. Memory Of Cycles mag ein Wenig esoterisch anmuten, ist aber einfach nur dem konzentrierten Sprechgesang geschuldet, welcher dem Interpreten erlaubt, solch geniale Rhythmen zu spielen. Am Besten klingt das Stück, wenn die Boxen eine schöne Basswiedergabe haben. Achso, Bauchwackeln, respektive -tanzen ist erlaubt, wegen mir auch ohne Verschleiern...

11.Mit dem vorliegenden Titel bewegen wir uns in die quasi-autonome Provinz Tuva auf dem Gebiet Russlands. Von dort stammt die Sängerin Sainkho die gerade Badjirgal's Wish aufführt. Sie ist ein Meister in der Atmung und weiß diese effektvoll für ihre Musik einzusetzen. Neben einem sehr gut trainierten Kehlkopf braucht man für diesen Gesang auch noch eine Hand, mit der man Verschlusslaute hervorpressen kann. Ich finde das aus musik-anatomischer Sicht total faszinierend.

12.An dieser Stelle zieht es uns in warme, ja fast, heiße Gefilde. Stellen wir uns eines von Gaddafis Wüstencamps vor. Dort trainieren sonnengegerbte Männer mit Waffen und irgendwann muss wohl einer Mal gesagt haben „hey, lasst uns Musik machen“. Und so entstand in Lybien eine Art gaaaaanz relaxter Wüstenrock. Stilecht mit Elektrogitarre und rauchiger Stimme. Die Gesänge ausnahmslos auf Tuareg aber schon volle Kanne abgeräumt bei Auslandsauftritten. So sieht kulturelle Öffnung aus dem militärischem Kontext aus.

13.Das aus Russland stammende Svetilen Ensemble ist mit keiner einfachen Aufgabe betraut: es soll die urrussischsten Musiktraditionen erhalten und verbreiten. Nun, das ganze strotzt tatsächlich nicht vor musikalischer Innovation. Dafür taugt der Titel jedoch fast als Weihnachtsgesang.

14.Björk zeigt jetzt nochmal wo der Hammer hängt: nämlich bei den Frauen. Aufgefallen, dass ein Großteil der Weltmusik weiblich ist? Gefunden habe ich Oceania (wie passend, wenn man auf einer Insel umgeben vom Atlantik wohnt) auf einer Compilation zur isländischen Musikgeschichte. Björks Oceania ist dabei der Renner.

15.Gletscher und Eis finden sich auch im Land dieses Songs: Nepal. Neben einigen ziemlich hohen Bergen hat das kleine südasiatische Land auch eine interessante Musik zu bieten. Entweder sind es Mönche die andächtig „om“ machen oder Spielstücke, die völlig ohne Gesang, dafür aber mit der typischen Sarangi (ein 3- oder 4-seitiges Streichinstrument) und einer ganzen Zahl von Trommeln auskommen.

16.An dieser Stelle nun noch ein Mal ein Beispiel für Weltmusik in der Popmusik: Coldplays Yes aus dem letzten Album. Streichinstrumente sind auch hier das Stichwort. Denn was da so vor sich hin rüttelt sind nun nicht unbedingt typisch britische Melodien – viel eher hat man sich da östlicher Einflüsse bedient. Clash of Cultures ist gelungen, würde ich sagen. Abseits des weltmusikalischen Aspekts auch ein schönes Album.

17.Dieses Stück stammt von einer CD, die vermutlich so alt ist, wie die Aufnahmepraxis auf Wachsrollen. Nein, ernsthaft. Das Ding ist so mies von der Aufnahme her aber die Titel sind wundervoll authentisch und transportieren eine Menge Gefühl. Außerdem sind sie herrlich kurz und aus meinem Lieblingsland Brasilien. Zu dem hat eine kleine Samba noch keiner CD geschadet :-D

18.Von Brasilien ist es für die Verhältnisse dieser CD sogar recht nah in die USA. Dort siedelt das Ensemble Stellarmara. Bestehend aus Amerikanern verschiedenster Abstammung machen sie eine Musik mit mal phantastisch-mittelalterlichen oder Balkanelementen. Das ist auch bei Del Mar Rojo (Vom Roten Meer) Programm.

19.Wem es bisher zu ernsthaft, zu schwer, zu anstrengend war, dem lege ich japanische Gitarrenmusik ans Herz. Ernsthaft: Takashi Hirayasu ist ein Meister seines Instrumentes und singt zudem noch ganz wundervoll. Man ertappt sich unweigerlich dabei, wie man mit dem Kopf wackelt auch wenn man keinen Brocken versteht. Und nun erkläre mir einer, warum die Japaner oftmals so distanziert, ruhig und abgeklärt wirken...

20.So und zum Schluss setzen wir dem noch Eines auf: Der letzte Song ist absolut als Ausspracheübung zu empfehlen: Gaztelugatxeko von Kepa Junkera, einem hochgradig talentierten Akkordeon spielenden Basken. Der Song stammt von einer CD, die er seiner Heimatstadt Bilbao gewidmet hat und in allen Songs stellt er unter Beweis, dass er nicht nur Meister des Akkordeons ist, sondern auch noch alle erdenklichen anderen Instrumente beherrscht.

Auch euch bei allen Aufgaben gutes Gelingen, viel Vergnügen mit der Weltmusik und bis zum nächsten, dann ganz standesgemäßen retrospektiven Mixtape auf CD im Dezember. Es grüßt, Peter.