Montag, Oktober 16, 2006

In was für einer Gesellschaft wir leben

Nachdem ich mich kürzlich mit einem Essay Rodós beschäftigt habe, stelle ich immer mehr Dinge fest, die mich nerven. Heute geht es so weit, dass auch ich kurz davor stehe, einen Essay an die Jugend zu adressieren.

Erschrocken bin ich schon einige Male. Neulich beispielsweise, als ich ins Institut kam und dachte, ich sei in eine Zuschaustellung schlechten (Mode-)Geschmacks geraten. Aber nein, was sich da auf dem Gang tummelte, waren die neuen Studentinnen der Philologie. Ich verlange nicht, dass man aussieht, wie das, was die Leute für gewöhnlich vom Äußeren eines Andenbewohners erwarten, wenn man Lateinamerikastudien belegt. Was ich allerdings erwartet hätte, ist, dass man ein gewisses Verständnis und die Befähigung mitbringt, sich in die Problematiken hineinzudenken. Wenn mein Problemhorizont aber nur bis zu den unterschiedlichen Schattierungen meines Solariumteints reicht, dann dürften die nächsten Semester schwierig werden.

Nächste Sache ist diese schreckliche Markenfixierung. Man trifft ja kaum noch auf Leute, die nicht mit riesen D&G-Logo oder zur Schau getragener Diesel-Labelsammlung rum laufen. Auch diese furchtbaren Gürtel, mit den phatten Schnallen dran - was ist das für eine merkwürdige Erscheinung? Wollen die Leute damit über ein Problem mit der Fülle ihres Schritts hinwegtäuschen oder ist es ein zusätzliches Gewicht um das Sichfortbewegen auf hohen Absätzen zu erleichtern? Außer ein paar anständigen Punks in hohen Docs und wenigen markenresistenten jungen Leuten, sieht man ja kaum noch Volk, dass nicht Werbung, für große Konzerne mit zweifelhaftem Verdienst für die Menschheit, läuft. Seitdem wir den Großen in unserem Streben nach mehr Individualität ihre (oftmals so erschreckend und offensichtlich) ähnlichen Artikel abgekauft haben, sehen wir jetzt alle so wahnsinnig individuell aus, dass ich mich bei jedem zweiten Passanten frage, ob ich ihm/ihr nicht kürzlich bereits begegnet bin.

Nachfragen lohnt da auch meistens nicht. Entweder ist das gegenüber nicht in der Lage, sich umfassend und verständlich zu äußern oder man muss sich anhören, welcher PKW als nächstes gekauft wird. Wenn man dann mal das Gespräch auf andere Kulturkreise lenkt, dann muss man zunächst erklären, dass es sich bei der ein oder anderen Volksgruppe nicht um ein abenteuerliches asiatisches Gericht handelt, sondern um die Bewohner eines anderen Kontinents. Is man dann mal so weit, und hat man eine Krisenregion als Gesprächsthema gewählt, dann bekommt man zu hören, dass die sich dort eh schon seit frühster Zeit die Köpfe einhauen und man das sowieso nicht ändern könne.

Ja, eine wunder(same)volle Einstellung herrscht hier vor. Die Vision Rodós war nett, alle ziehen am Ende in die große Stadt hinaus, um sich zu verwirklichen und ihren Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Welchen Beitrag unsere Generation mit der vorherrschenden Einstellung mal leisten will, ist mir, von finaler, globaler Zerstörung mal abgesehen, nicht klar. Im Gegenteil, ich bin emotional nahe an dem, was man als Angst und Ohnmacht bezeichnet. Machen wir es noch mal wie sonst auch und nehmen wir es mit gewohnter Gleichgültigkeit - wird schon, irgendwie...

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