Im Lande Infantilien
Meldungen aus der Welt der Erwachsenen
Von Wiglaf Droste
Das Delikt heißt Kitsch mit Tieren, doch das Tier kann nichts dafür.
Der mit dem Knuffignamen "Knut" ausgestattete Eisbär im Berliner Zoo
ist unzweifelhaft äußerst niedlich anzusehen. Er ist drollig, tapsig
und flauschig, wie es seiner Art und seinem Alter entspricht.
Dagegen lässt sich nichts sagen.
Seltsam sind dagegen die Aktivitäten ausgewachsener Menschen, die
aus der Existenz eines Zootieres ein internationales Medienereignis
machen. Der am 5. Dezember geborene Bär wird am 23. März, wie es
heißt, "der Weltöffentlichkeit vorgestellt"; 500 Journalisten aus
aller Welt sind dabei, der deutsche Umweltminister Sigmar Gabriel
übernimmt die Patenschaft. Mediale Überflüssigkeitsorgane wie
"Bild", "BZ" oder "Vanity Fair" kreieren, was sie einen "Superstar"
nennen. Der Bär wird zur Bärenmarke.
...
Mehrmals täglich gibt es neue Depeschen von Weltwucht und Bedeutung:
Die Fotografin Annie Leibowitz reist aus den USA an, um den Bären zu
fotografieren. Der provinzberliner Röchelsänger Frank Zander
flanscht sich mit einem Lied über "Knut" an. Die "BZ" drückt ein
"großes Knut-Fotoalbum" in den Markt und meldet das auf Seite eins -
"Der Beweis: Knut liebt BZ". Alle Beteiligten, vom Bären abgesehen,
sind volljährig. Und der von Hysterie unberührte Betrachter fragt
sich angesichts der Geschrei-Offensive: Will denn in China gar kein
Sack Reis mehr umfallen?
...
Die Sprache, in der das Dauerspektakel präsentiert wird, ist eine
Art Kinder-Eititei. "Bild" wünscht einen geistverlassenen "knuten
Tag" und attestiert dem Bären ein "fröhliches Lachen" - da lacht
dann eher der Zoologe. Dasselbe Blatt meldet über den "Knut"
betreuenden Tierpfleger Thomas Dörflein: "Knuts Menschen-Papa
gefällt auch den Frauen". "Menschen-Papa" - man muss es noch einmal
sagen: All das sind Meldungen aus der Welt der Erwachsenen. Die,
plakativmedial abgestumpft, ihre Restempathie auf ein Zootier
schleudern.
...
Es ist ja nicht nur die Gossenpresse, die das
Publikum anspricht, als sei es im Kindergartenalter. Auch in
öffentlich-rechtlichen Fernsehnachrichtensendungen wird man längst
von guten Onkels und Tanten angeschnackt, als wäre man nicht fähig,
einen komplexeren Sachverhalt zu verstehen oder eine unangenehme
Nachricht psychisch zu verkraften. Man muss es Menschen wie
beispielsweise Frau Slomka deutlich sagen: Wir sind nicht aus
Debilien. Wir sprechen deutsch, in ganzen, richtigen Sätzen für
erwachsene Menschen, und wir können, ohne bekochlöffelt zu werden,
die Wahrheit vertragen. Und bitten darum, aber dringend.
Mittwoch, April 25, 2007
POLITISCHES FEUILLETON: Im Lande Infantilien
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